Position des ETV zur paraprohibitiven Besteuerung von Tabakwaren
Zwischen europapolitischer Verantwortung, Marktstabilität und verhältnismäßiger Gesundheitspolitik
Neue Tendenzen einer steuerpolitischen Prohibition
Die Debatte um eine paraprohibitive Besteuerung von Tabakprodukten gewinnt im europäischen Gesundheitsdiskurs zunehmend an Brisanz. Gemeint ist eine Steuerpolitik, die nicht allein auf Lenkung des Konsums zielt, sondern faktisch auf dessen Unterbindung: Durch drastische Preiserhöhungen soll der Zugang zu legalen Tabak- und Nikotinerzeugnissen ökonomisch unattraktiv oder praktisch unmöglich gemacht werden. Diese Logik hat insbesondere durch die "BECA-Resolution"[1] des Europäischen Parlaments von 2022 (Bericht des Sonderausschusses zur Krebsbekämpfung) Auftrieb erhalten. Darin wird eine "rauchfreie Generation bis 2040" angestrebt und die politische Empfehlung ausgesprochen, Tabak- und Nikotinprodukte so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Die dort formulierten Strategien gehen über eine Verhaltenslenkung hinaus und intendieren eine strukturelle Marktverdrängung. Der Begriff der "paraprohibitiven" Besteuerung beschreibt somit eine fiskalische Praxis, die die Grenze zur faktischen Prohibition überschreitet – bewusst und mit politischem Kalkül.
Binnenmarkt, Rechtsrahmen und Vertragslogik der EU
Der Europäische Tabakwaren-Großhandels-Verband (ETV) sieht diese Entwicklung mit großer Sorge. Eine solche Steuerpolitik steht nicht nur im Widerspruch zu fundamentalen Prinzipien europäischer Wirtschaftspolitik, sondern unterminiert auch die vertragliche Logik der Union. Gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union ist es ausdrücklicher Auftrag der EU, einen funktionierenden Binnenmarkt zu schaffen und wirtschaftliche Betätigung zu fördern. Eine Steuerpolitik, die bestimmte legale Produkte gezielt in Richtung Unerschwinglichkeit drängt, errichtet implizit normative Konsumhierarchien und widerspricht dem Gebot diskriminierungsfreier Marktteilhabe.
Von der Lenkung zur Verdrängung: Eine Verschiebung fiskalischer Legitimität
Tabakwaren zählen in nahezu allen Mitgliedstaaten zu den am stärksten regulierten und steuerlich belasteten Produktgruppen. Die Tabaksteuer hat traditionell eine doppelte Funktion: Sie dient sowohl der staatlichen Einnahmeerzielung als auch der gesundheitsbezogenen Verhaltenssteuerung. Diese doppelte Zielsetzung ist rechtlich legitimiert und historisch verankert. Doch sobald Steuerpolitik nicht mehr auf Lenkung, sondern auf faktische Ausschaltung eines legalen Marktes abzielt, verlässt sie den Rahmen ökonomisch begründbarer und verfassungsrechtlich tragfähiger Instrumente. Die Grenze zur verkappten Prohibitionsstrategie wird damit überschritten – mit absehbaren Nebenwirkungen.
Schwarzmarkt und Kontrollverlust: Empirische Warnsignale
Zu den gravierendsten Folgen paraprohibitiver Steuerstrategien zählt die Förderung illegaler Handelsstrukturen. Studien der OECD, der WHO sowie europäischer Zollbehörden zeigen deutlich: Exzessive Preissteigerungen bei stark nachgefragten Konsumgütern führen zu einem signifikanten Anstieg des Schwarzmarktes. Frankreich etwa verzeichnet nach mehreren Steuererhöhungen jährlich Milliarden nicht versteuerter oder gefälschter Zigaretten im Umlauf. [2] Auch in Deutschland liegt der Anteil nicht inländisch versteuerter Tabakwaren bereits bei über 20 Prozent, mit regionalen Spitzenwerten bis zu 44 Prozent.[3] Eine weitere Übersteuerung würde diese Dynamik verschärfen. Der Staat verlöre damit nicht nur wertvolle Steuereinnahmen, sondern auch die Kontrolle über Produktsicherheit, Jugendschutz und legale Vertriebskanäle.
Historische Parallelen: Das Scheitern der Prohibition
Ein Blick in die Geschichte unterstreicht die Risiken dieser Politik: Die Prohibition in den USA (1920–1933) führte nicht zu einem Konsumverzicht, sondern zu einer explosionsartigen Ausweitung des Schwarzmarktes und zur Stärkung organisierter Kriminalität. Eine vergleichbare Entwicklung droht im Bereich von Tabak- und Nikotinprodukten, sollte sich die Steuerpolitik faktisch in Richtung eines Marktausschlusses bewegen.
Marktstruktur und Mittelstand: Existenzen in Gefahr
Die mittelständisch geprägte Tabakwaren-Großhandelsbranche ist integraler Bestandteil der regulierten Warenzirkulation in Europa. Ihre Betriebe sichern die legale, steuerlich erfassbare und jugendschutzkonforme Verfügbarkeit von Tabakprodukten – auch in peripheren und strukturschwachen Regionen. Diese Infrastruktur ist nicht beliebig substituierbar. Ihre Schwächung oder Auflösung würde Marktverwerfungen, Arbeitsplatzverluste, kommunale Einnahmeausfälle und eine Verdrängung legaler Angebotsformen zugunsten informeller, oft illegaler Kanäle nach sich ziehen.
Zwischen Aufklärung und Bevormundung: Gesellschaftspolitische Implikationen
Der steuerpolitische Zugriff auf legal konsumierte Produkte ist mit normativen Spannungen behaftet. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist es Aufgabe des Staates, durch Aufklärung, Bildung und Prävention gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern – nicht aber, durch fiskalische Übersteuerung individuelle Konsumentscheidungen zu sanktionieren oder faktisch zu unterbinden. Eine Steuerpolitik, die legale Wertschöpfungsketten strukturell unrentabel macht, verletzt nicht nur wirtschaftliche Freiheitsrechte, sondern kann in ihrer Wirkung einem faktischen Berufsverbot gleichkommen. Das europäische Primärrecht zieht hier klare Grenzen.
Fiskalische Nachhaltigkeit statt Steuerrisiken
Paraprohibitive Besteuerung ist nicht nur gesundheitspolitisch fragwürdig, sondern auch fiskalisch kontraproduktiv. Verbrauchssteuern wie die Tabaksteuer sind bislang stabile Einnahmequellen. Ein durch Steuerüberlastung induzierter Rückgang legaler Absatzmengen würde diese Funktion untergraben. Wachsende Steuerverluste, Kontrollverlust und zunehmende Schattenwirtschaft wären die absehbaren Folgen. Damit würde eine vermeintlich gesundheitsorientierte Steuerstrategie in fiskalischer Hinsicht ins Gegenteil umschlagen.
Risikodifferenzierung statt Pauschalismus
Die pauschale Gleichbehandlung aller Tabak- und Nikotinprodukte ist aus regulatorischer Sicht nicht haltbar. Verschiedene Produkttypen wie klassische Zigaretten, Tabakerhitzer, E-Zigaretten oder orale Nikotinprodukte weisen unterschiedliche Risikoprofile auf. Eine evidenzbasierte Steuerpolitik muss diesen Unterschieden Rechnung tragen. Länder wie Schweden zeigen, dass differenzierte Besteuerungssysteme gesundheitspolitisch wirksam und gleichzeitig marktkonform sein können. Die pauschale Belastung hingegen ist weder sachgerecht noch zielführend.
Jugendschutz und Kontrolle: Der Wert des legalen Vertriebs
Ein funktionierender legaler Markt ist Grundlage wirksamer Jugendprävention. Nur wo Produkte über geschulte Händler, Altersverifikationssysteme und staatlich kontrollierte Vertriebskanäle bereitgestellt werden, lassen sich legitime Schutzziele durchsetzen. Eine Übersteuerung, die diese Strukturen zerstört, untergräbt zugleich die Fähigkeit zur Regulierung.
Fazit: Für eine verantwortungsvolle, verhältnismäßige Steuerpolitik
Der Europäische Tabakwaren-Großhandels-Verband (ETV) spricht sich entschieden gegen die Einführung einer paraprohibitiven Besteuerung von Tabak- und Nikotinprodukten aus. Diese untergräbt die Legitimität fiskalischer Steuerung, destabilisiert regulierte Marktstrukturen, fördert illegale Parallelökonomien und verletzt die Prinzipien evidenzbasierter, verhältnismäßiger Regulierung. Der ETV plädiert für eine differenzierte, risikobasierte Steuerpolitik, die Gesundheitsziele mit wirtschaftlicher Vernunft, rechtlicher Stabilität und sozialer Verantwortung verbindet.
[1] Europäisches Parlament: Resolution „Strengthening Europe in the fight against cancer – towards a comprehensive and coordinated strategy“ (A9-0001/2022), angenommen am 16. Februar 2022
[2] Siehe https://www.pmi.com/media-center/press-releases/press-details/?newsId=28981: Schätzungen gehen von über 18,7 Milliarden illegaler Zigaretten im Umlauf aus.
[3] Siehe: https://www.zigarettenverband.de/wp-content/uploads/D_Karte-1Q-2025.pdf